Ein langgezogenes, unmenschliches Heulen lässt mich aufschrecken. Verwirrt blicke ich mich um. Die Kerze ist heruntergebrannt. Die Flamme der Petroleumlampe leuchtet ruhig. Die Schatten im Zimmer haben sich in ein vergessenes Grau gewandelt. Von Sarahs Bett kann ich ein leises Schnarchen hören. Ein Blick zum Holzladen vor dem Fenster bestätigt mir meine Vermutung. Ich muss am Abend eingeschlafen sein und habe die ganze Nacht in dem Korbsessel verbracht. Das Heulen … Erschrocken starre ich auf den grauen Spalt zwischen den Läden. Der neue Tag beginnt mit der gleichen Dunkelheit wie die Tage davor. Fast eine Minute lausche ich angestrengt. Doch dieser unheimliche Laut, der seit Tagen das Einzige ist, das das Schweigen der Welt bricht, wiederholt sich nicht. Mein kraftloser Blick fällt auf die Uhr an meinem Handgelenk. Das letzte Geschenk von Sarah. Ich drehe den Arm so, dass der gelbe Schein der Lampe auf das Glas der Uhr fällt. Fast acht Uhr. Die Nacht ist vorüber. Am Tage hört man Sie nicht. Das Heulen muss von einer letzten verirrten Kreatur stammen. Mein Blick fällt wieder auf Sarah. Sie wirkt friedlich. Ihre Brust hebt sich in langsamen Atemzügen. Dass ich in dieser Nacht nicht neben ihr gelegen habe, hat sie nicht einmal gemerkt. So, wie sie oft nicht einmal weiß, dass ich bei ihr bin. Oder dass sie noch lebt … Meine Knochen protestieren ächzend ob der langen Nacht im Sessel. So gerne ich mir auch einzureden versuche, für mein Alter relativ rüstig zu sein, so sehr werde ich in diesen Minuten Lügen gestraft. Es kostet mich eine gewaltige Anstrengung zum Bett zu gelangen, wo ich mich mit einem heiseren Stöhnen auf die Matratze fallen lasse. Während ich mit der Hand den schmerzenden Rücken zu massieren versuche, blicke ich auf das friedliche, schlafende Gesicht von Sarah. Ihre Augenlider flackern. Ich frage mich, von was sie gerade träumt. War sie überhaupt noch dazu in der Lage zu träumen? Die Haut über ihren Wangen spannt sich. Im Schein der Petroleumlampe und des dämmernden Morgens wirkt sie kränklich gelb. Ihre Lippen sind nicht mehr als eine zusammengekniffene Linie. Trocken und rissig. Ein glänzender Speichelfaden rinnt aus ihrem Mundwinkel und läuft ihre Wange hinab zum Hals. “Erzähl mir deine Träume”, flüstere ich und streiche ihr verschwitztes Haar aus der Stirn.